Der Inhalt der Neuoffenbarung

In einer Zeit (1840), in der die Unterwerfung des Glaubens unter die Vernunft, in Wissenschaft (Mikroskopie, Elektrodynamik, Thermodynamik, Spektroskopie, ...) und Technik (Dampfmaschine, Eisenbahn, automatische Webstühle, Fotographie, Hydraulik, Galvanisierung, Ballonflüge, Telegraphie, ...) in kürzester Zeit zu unübersehbaren Erfolgen (industrielle Revolution), aber auch zu einem Materialismus und Machbarkeitsglauben führte, stellte die Neuoffenbarung eine lange gesuchte Möglichkeit für den spirituellen Menschen dar, seinen Glauben gegenüber den Maximen der Aufklärung zu rechtfertigen. Als theosophische Lehre für geistlich reife Menschen, die einen Weg zur Befreiung der Seele aus ihrem materiellen Kerker lehrt, knüpft die Neuoffenbarung an die Tradition der hellenistisch geprägten Gnosis an. Offenbarungen über Reinkarnation, z.T. auf verschiedenen Planeten und Sternen, über Geister und Führung Verstorbener, über besondere Naturkräfte und Heilverfahren, machen die Neuoffenbarung aber auch heute noch für Menschen mit einer integrativ gestalteten Religiosität oder aus dem Bereich der Esoterik interessant. Trotz vieler detaillierter Schilderungen über die Geheimnisse der materiellen und geistigen Schöpfung bleibt die Grundforderung, der Weltverstand habe sich dem reinen Gefühl unterzuordnen. In diesem Sinne ist die Neuoffenbarung ein Werk der Gegenaufklärung, auch wenn sie versucht, Glaubensinhalte mit dem damaligen Stand der Wissenschaft und Technik zu harmonisieren.


Die Haushaltung Gottes
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Lorbers erstes Werk, die Haushaltung Gottes (3 Bände) behandelt Glaubensgrundlagen wie das Wesen Gottes und die Urgeschichte bis zur Sintflut. Der materiellen Schöpfung geht dabei die Schöpfung der Geisterwelt voraus. Der eigentliche Sündenfall vollzieht sich laut Lorber in der Geisterwelt und endet in der Bindung Satans und seines Gefolges als Materie. Die Evolution vollzieht sich anschließend von der unbelebten Natur über die Geschöpfe bis zurück zur Geisterwelt und zur Wiedervereinigung der gefallenen Welt mit Gott. Auf diese Weise wird die biblische Genesis nicht nur mit Details angereichert, sondern in einen neuen, andersartigen heilsgeschichtlichen Kontext gestellt.

Vor allem in den Werken "Der Großglockner", "Der Saturn", "Die Fliege", "Erde und Mond", Heilkraft des Sonnenlichtes", "Die natürliche Sonne" und "Naturzeugnisse" (die Lorberfreunde auch "Naturevangelien" nennen) werden neben vielen Ausführungen in wissenschaftlichem Stil oft geistliche Entsprechungen der materiellen Gegebenheiten und Vorgänge erklärt.
Erde und Mond
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Bischof Martin
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In "Die geistige Sonne", "Bischof Martin", "Von der Hölle zum Himmel (Robert Blum)" und "Jenseits der Schwelle" wird der weitere Weg der Seelen nach dem Tod durch die Geisterwelt beschrieben, in der die Führung des Menschen hin zu Gott und die Belehrung in der Liebe und der Weisheit weiter geht, bis sich letztlich alle irgendwann wieder mit Gott verbinden.

Die zentrale Figur in diesem Erlösungsprozess ist Jesus. In "Die Jugend Jesu" und "Drei Tage im Tempel" wird Jesus als autonomes, machtvolles und geistig überlegenes Wunderkind vorgestellt, das von Beginn an großen Einfluss auf die Menschen seiner Umgebung nimmt. Die ausführlichen Erzählungen enden nach dem zwölften Lebensjahr. Die "Jugend Jesu" berichtet für die Zeit zwischen dem zwölften und dem dreißigsten Lebensjahr nur noch über die Seelenkämpfe Jesu zur Erreichung der Widergeburt und "Drei Tage im Tempel" entnehmen wir, dass Jesus sich in dieser Zeit seine Göttlichkeit nicht anmerken ließ.
Jugend Jesu
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Das große Evangelium Johannes
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Den vier biblischen Evangelien über das Wirken Jesu ab dem dreißigsten Lebensjahr stellt Lorber sein Hauptwerk "Das große Evangelium Johannes" gegenüber. Dieses umfangreichste und bekannteste Werk (10 Bände, ein 11. Band stammt von Leopold Engel) beginnt mit einem Vers für Vers Kommentar zum historischen Evangelium nach Johannes, stellt aber auch viele Aussagen in einen neuen Kontext und bindet wissenschaftliche und heilsgeschichtliche Thesen früherer Werke in das Evangelium mit ein, indem Jesus seine Jünger und andere Interessierte in die Geheimnisse der geistigen und materiellen Schöpfung einweiht.

Die Offenbarungen Lorbers betrafen neben den großen Werken oft auch Fragen aus Lorbers Freundeskreis. Solche und andere Einzeltexte wurden in den "Himmelsgaben" (3 Bände) zusammengefasst. Daneben sind andere kleinere Texte, Gedichte und Briefe Lorbers überliefert.

Die Neuoffenbarung beschreibt insgesamt einen Prozess, in dem der freie Mensch durch Überwindung seiner Selbstsucht schrittweise die Wiedergeburt und schließlich die Wiedervereinigung mit Gott erreicht. Die zentrale Bedeutung von Jesus liegt dabei nicht, wie in der Bibel, in seinem stellvertretenden Opfertod und seiner Auferstehung, sondern darin, dass Jesus den Weg zur Erlösung vorlebt und erklärt.


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